Wir dokumentieren hier den Antrag des Angeklagten auf Abnahme des Kreuzes im Wortlaut:
Hiermit beantrage ich das sich in diesem Gerichtssaal befindliche Kreuz unverzüglich abzunehmen.
Gründe:
Auch wenn es sich bei einem Kreuz ursprünglich um ein Folter- und Mordinstrument handelt, das als symbolisierte Drohung im Gerichtssaal durchaus dazu dienen könnte, Angeklagte, Zeug*innen und Zuschauer*innen einzuschüchtern, steht dieses Kreuz in einem bayerischen Gerichtssaal symbolisch für etwas weitaus schlimmeres: Es soll innerhalb der christlichen Glaubensdoktrin die ständige Präsenz Gottes symbolisieren. Nun weiß ich zufällig, dass es einen solchen Gott nicht gibt – nicht für mich, denn ich bin nicht sein Sklave – und wenn ich einmal kurz den absurden Fall annähme, es gäbe ihn doch, wäre ich mir sicher, er wäre nicht begeistert davon, an die Wand eines Gerichtes gehängt zu werden. Sei’s drum: Die Frage nach der Existenz eines universellen Herren über die Welt interessiert mich hier nur periphär. Ich interessiere mich vielmehr für die Ideologie der Menschen. Es ist mir ja großteils egal, was diejenigen Menschen, die vor einem “Gott” im wahrsten Sinne des Wortes zu Kreuze kriechen, in ihrem privaten Umfeld so treiben, spekulieren und – wie nennt mensch das? – glauben. Es liegt weder in meinem Interesse, diese Menschen zu belehren noch sie dazu anzuleiten, sich von den Fesseln der Unterdrückung zu befreien. Anders verhält sich das jedoch, wenn diese Menschen ihre Glaubensdoktrin nach außen kehren, in der Absicht, anderen Menschen ihre Lebensweise, ihre Wertvorstellungen und damit letztlich ihr Dasein als Sklav*in aufzubürden. Schon als Kind wurde ich unfreiwillig fast ertränkt, um dieser Idee des großen Patriarchen, dem wir alle dienen sollen, zwangsweise unterworfen zu werden. Später in der Schule hatte der Herr Pfarrer – in seiner Rolle als Religionslehrer – seine liebe Not, mir mit seinen konservativen Methoden die nötige Ehrfurcht vor diesem Schöpfergott einzuflößen. Wie oft musste ich für den Rest der Unterrichtsstunde die Klinke der Klassenzimmertür herunterdrücken, weil ich mich mal wieder über die Absurdität der christlichen Glaubensdoktrin lustig gemacht hatte oder irgendein blödes Lobgedicht auf den alten Sack dort oben nicht auswendig lernen wollte? Mich zu brechen gelang auch dem verzweifelten Pfaffen nicht. Ob das an meiner teuflischen Haarfarbe lag, wie er und vor allem meine Mitschüler*innen zu sagen pflegten? Wer weiß? Nun scheint sich diese Kontinuität einer anachronistischen Hexenjagd auch hier vor Gericht fortzusetzen. Doch bevor ich später noch in der Isar ertränkt oder auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden soll, nur um zu sehen, ob ich das nicht überlebe, halte ich es für angebracht, diesem Spuk endgültig ein Ende zu setzen und dieses dämliche Glaubenssymbol ein für alle Mal von der Wand zu nehmen.
Denn auch wenn ich ein Gericht, das sich statt “im Namen Gottes” “im Namen des Volkes” zu richten anschickt, ebenso lächerlich finde und genausowenig anerkennen kann, so halte ich diesen ersten Schritt der Zurückweisung des göttlichen Herrschaftsanspruches doch für einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur vollständigen Emanzipation von Herrschaft.